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"Die Kompetenz der Gemeinschaft"

Aus meinem NEWS Archiv:

Der japanische Internet-Visionär Joichi Ito kuratiert auf der heurigen Ars Electronica ein Symposion über eine neue Wissensgesellschaft – Im STANDARD-Interview

Standard:
Thema der Ars Electronica 2008 ist „A new cultural Economy“ und eine moderne, durch Internet geprägte Wissensgesellschaft. Was ist Wissen?

Joichi Ito: Wissen ist Information, die wir verstehen. Information und Verständnis, das auf eine Weise zuverlässig ist. Das Internet hat es den Menschen einfacher gemacht, mit ihren Meinungen teilhaftig zu werden. Das hat natürlich die Menge an Information stark angehoben – diese in Wissen weiterzuverarbeiten, bedingt neue Wege, Information zu verstehen und mitzuwirken, Kompetenzen zu schaffen.

Standard: Kompetenzen kann heute jedermann haben?

Ito: Früher hat man sich Kompetenz durch lange Jahre, während derer man in Institutionen arbeitete, verdient. Kompetenz war etwas, das man durch einen strengen Prozess wie die Hochschule erlangte. Kompetente Meinungen waren jene, die von Autoritäten geäußert wurden. Im Internet gibt es nun aber neue Autoritäten. Es ist die Kompetenz der großen Gemeinschaft. Wenn eine Tatsache im Internet dargestellt wird, in einem Blog oder auf Wikipedia, und sie überlebt die genaue Überprüfung von Millionen von Menschen, so ist das durchaus autoritativ – und sogar wesentlich maßgebender als die Meinung der traditionellen Kompetenzen.

Standard: Darauf kann man sich verlassen?

Ito: Wir müssen erst lernen, diese Tools zu lesen und verwenden, und exakt zu verstehen, wie verlässlich im Entscheidenden ein bestimmtes Stück Information ist. Die nächste Generation wird darin schon wesentlich sicherer sein.

Standard: Sie muss sich damit allerdings auch mit neuen Realitäten befassen. Die Ars Electronica diskutiert heuer die Grenzen des geistigen Eigentums. Wo liegen diese?

Ito: Das Gesetz, Verträge und die alte Weise, mit geistigem Eigentum umzugehen, wurde für eine Ära geschaffen, in der es sehr teuer und schwierig war, Information herzustellen, zu verbreiten und bearbeiten. Es war eine Welt, in der Fachleute die meisten Inhalte herstellten, und es war in Ordnung, wenn jede Transaktion viel Geld kostete und viel Zeit brauchte. Im Internet schafft, verbreitet und bearbeitet jeder Information, und die früheren Methoden, die für jede Zusammenarbeit Anwälte und Verhandlungen erforderten, stoßen dabei an ihre Grenzen. Natürlich werden diese Standardformen geistigen Eigentums weiterhin in großen R&D Labs oder Filmstudios zum Tragen kommen, aber im Internet schafft uns das traditionelle Verständnis von geistigem Eigentum und wie man mit ihm umgehen soll mehr Grenzen als dass es uns hilft, diese zu überwinden.

Standard: Soll man also den Anspruch auf geistiges Eigentum abschaffen?

Ito: Nein, natürlich nicht, allerdings sollten die Methoden damit umzugehen und die sie betreffenden Regeln modifiziert oder erweitert werden.

Standard: Wie ließe sich die neue Vorstellung des Eigentums fassbar machen?

Ito: Eigentum ist der Besitz eines bestimmten Kapitals. Geistiges Eigentum ist immer interessant, aber nicht immer notwendig. Es gibt individuelles Eigentum, jenes, das Kapitalgesellschaften besitzt, oder Regierungen oder die Öffentlichkeit. Free- und Open-Source-Software erfordert auf eine Weise strenge Eigentumsrechte. Diese Rechte werden aber von der Öffentlichkeit und nicht von privaten Interessen gehalten.

Standard: Wie sehen Sie diese positive Wissensgesellschaft?

Ito: Ich denke, jeder muss die Wahl haben. Wenn Künstler bestimmen möchten, was mit ihrer Arbeit getan werden darf, sollte es ihnen möglich sein, das einfach auszudrücken. Wenn allerdings ein Künstler sein Werk anderen zur Verfügung stellen möchte, so sollte er auch das technisch und rechtlich einfach durchführen können. Wenn solche Entscheidungen einfach getroffen werden können, glaube ich, dass viele gemeinschaftliche Projekte wie Wikipedia aufblühen werden und mit hybriden Modellen mit restriktivem, kommerziellem Gehalt gut koexistieren können. Wissen muss öffentlich sein. Forschung, Kursunterlagen, Daten sollten so viel als möglich verteilt werden, denn Verbreitung und Kollektivarbeit ist die Basis von Wissenschaft. Die Forschung und Bildung auf globalem Level ist gegenwärtig durch die Ökonomie und das rechtliche Problem mit der Verbreitung von Wissen behindert.

Standard: Was sind hier die Interessen für die Wirtschaft?

Ito: Klügere und sachkundigere Menschen machen die Gesellschaft stärker. Bildung ist immer eine gute Investition, vor allem wenn sie dazu führt, Beschränkungen aufzuheben. Das Teilen von Inhalten und Amateur-Inhalten wird eine enorme Industrie für die Netzwerkinfrastruktur, Software-Unternehmen, Internet-Service-Einrichtungen und Konsumentengesellschaften werden. Und es wird auch kommerziellen Interessen förderlich sein, wenn hier Mischformen gut etabliert werden können.

Standard: Sie selbst sind in Japan auch Regierungsberater. Wo betritt die Politik das Feld dieser „New cultural Economy“ ?

Ito: Alle Regierungen sind verwundbar durch die Beeinflussung von kommerziellen Interessen. Es gibt immer eine Auswahl kommerzieller Interessen, die den Status quo aufrecht erhalten wollen – Veränderungen werden immer schnell politisch.

Standard: Auch die Ars Electronica sucht nach Regeln für die „neue Gesellschaft“ . Was stellen Sie sich vor?

Ito: Es geht hier nicht darum, zu herrschen. Ich denke, es wird offene Protokolle und Einvernehmen geben. Auf der Ebene der Ideen und Information wird es Übereinkünfte darüber geben, wie Dinge interoperieren – jede Community wird eigene Wege finden, sich zu organisieren. Wikipedia ist das beste Beispiel dafür!

Standard: Was hat das Internet für Sie persönlich verändert?

Ito: Es hat mich elementar verändert. Ich muss meine Zeit nicht mehr damit verbringen, mich in einem großen Unternehmen hochzuarbeiten, sondern kann tun und sagen, was ich möchte, ich bin mir selbst verantwortlich.

(Isabella Hager, SPEZIAL – DER STANDARD/Printausgabe, 22.08.2008)

Zur Person
Joichi Ito, geboren 1966, ist US-amerikanischer Investor für Risikokapital mit japanischer Abstammung. In Japan ist er ein Internet-Star. Sein beliebtes Blog: www.joi.ito.com

Online-Artikel und mehr Informationen auf derstandard.at

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